Stellungnahme «Entwurf Fachkonzept Alterspsychiatrie»

Vernehmlassung zum Thema Alterspsychiatrie (Im Kanton Baselland wird zurzeit ein neues Psychiatrie-Konzept erarbeitet.) 

Einleitung

Der «Entwurf Fachkonzept Alterspsychiatrie» (EFA) als Analyse und Konzept einer zufriedenstellenden psychiatrischen Betreuung/Versorgung für ältere Menschen ist zu begrüssen und von grundlegender Bedeutung. Darin werden viele Fragen zur fehlenden oder mangelhaften Finanzierung wichtiger Leistungen aufgeworfen und sinnvolle Lösungsansätze vorgeschlagen. Was können die Gesellschaft und die Politik tun, damit fragile ältere Menschen mit geringem finanziellem Spielraum und einem nicht tragfähigen sozialen Netzwerk in Würde altern können? Zu unserem sozialpolitischen Anliegen sei Prof. Carlo Knöpfel zitiert: «Für diese Menschen braucht es ein Anrecht auf Betreuung. Während Hilfen und Pflege­leistungen gesetzlich geregelt sind, kennt die Schweiz bis heute keinen Anspruch auf Betreuungsleistungen, wenn diese nicht mit einer Pflegebedürftigkeit verknüpft sind». Andernfalls droht Verwahrlosung und Vereinsamung, und das gilt es ja zu verhindern.

Es fällt auf, dass es sich bei den zur Erarbeitung des Fachkonzepts Alters­psychiatrie (EFA) beigezogenen Fachpersonen häufig um Leute handelt, die kaum direkt, d. h. in der der unmittelbaren Arbeit an und mit kranken Menschen beteiligt sind. Um praktisch umsetzbare Lösungen zu erarbeiten, müssten gerade auch die in Betreuung und Pflege Tätigen einbezogen werden, die sich ganz direkt um die Patientinnen und Patienten kümmern und in die Vernetzungsarbeit unmittelbar involviert sind: diejenigen also, welche die Kranken betreuen, pflegen, begleiten, die Medikamente richten, Notfallsituationen erkennen, die Kontakte zu Hausärztin/Hausarzt, Physiotherapie etc. koordinieren, mit Angehörigen telefonieren und so weiter und so fort.

Das Gesundheitswesen ist eine Service public-Aufgabe

Im Folgenden möchten wir ein paar grundsätzliche Überlegungen zu unserer Vernehmlassung einfliessen lassen: Die medizinische Betreuung und Behandlung der Bevölkerung ist eine Service public-Aufgabe. Für ein gut funktionierendes Gesundheitswesen muss die Grundversorgung solide ausgebaut sein. Grund­versorgung bedeutet vor allem genügend und gut ausgebildetes Pflegepersonal und ein Primat der Hausarztmedizin. Mit entsprechenden interdisziplinären und transdisziplinären Vernetzungen kann dadurch eine qualitativ hochstehende und kostengünstige Versorgung der Bevölkerung erreicht werden, wie unzählige internationale Studien zeigen. Um dies zu erreichen, sind allerdings entsprechende politische Weichenstellungen und ein Umpolen der Finanzströme Voraussetzung. Leider ist das bisher bei Bund und Kantonen kaum der Fall.

Ökonomisierung und Bürokratisierung

Die neusten Reformen haben diesbezüglich leider just das Gegenteil ausgelöst: Die zunehmende Ökonomisierung und die damit verbundene Bürokratisierung des Gesundheitswesens setzen falsche Anreize (im EFA wird darauf hingewiesen). Der Wettbewerbsgedanke sollte eigentlich im Umgang mit Erkrankten nichts zu suchen haben. Und mit der Einführung der DRGs (Fallkostenpauschalen) wurde ein «Instrument» geschaffen, das zwar gewisse Gesundheitsökonomen und Betriebswirtschaftler zufriedenzustellen mag, einem menschenwürdig funktionierenden Gesundheitswesen jedoch entgegensteht. Deshalb ertönt zurecht die Forderung nach Abschaffung der DRGs. Betriebswirtschaftler haben ein grosses Interesse daran, ihr «Produkt zu verkaufen», ein Gespräch mit den Patientinnen und Patienten und menschliche Zuwendung sind für sie keine messbaren Grössen. Und als Folge des erfolgten Umbaus des Schweizer Gesundheitswesens hat auf allen medizinischen Stufen der zunehmende administrative Aufwand zugenommen. Für die eigentliche Arbeit (Untersuchung, Pflege, Betreuung) bleibt immer weniger Zeit übrig.

Hausarztmedizin unter Druck

Die Nachwuchs-Probleme in den ärztlichen Bereichen Psychiatrie und Hausarztmedizin werden im EFA angesprochen. Im letzten Jahrzehnt hat sich das Arbeitsumfeld insbesondere in der Hausarztmedizin verschlechtert. Der administrative Aufwand hat unter anderem wegen steter Rückfragen von Seiten der Krankenkassen, welche vielfach als Schikane empfunden werden, über Gebühr zugenommen. Ein Abrechnungssystem, das sich auf technische Leistungen kapriziert, während die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten und Hintergrund-Tätigkeiten nicht honoriert werden, führt zu einer «entmenschlichten» Medizin. Dass sich jüngere Hausärztinnen und Hausärzte fragen, ob sie ihre Praxen bis in ein paar Jahren allein aus finanziellen Gründen überhaupt noch weiterführen können, ist Anlass zu grosser Sorge!

Pflegeberufe

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie «systemrelevant» die Gesundheitsberufe sind. Doch einer kompetenten, hingabevollen Betreuung und Pflege steht der Personalmangel entgegen. Diesem kann mit einer «Ausbildungs-offensive» (ein unschönes Wort) allein nicht begegnet werden. Denn die Anzahl der Pflegenden, welche sich von ihrem Beruf abwenden, nimmt weiterhin zu. Es handelt sich dabei meist gerade um die wertvollsten Mitarbeitenden, um diejenigen, die mit viel Enthusiasmus und Herzblut ihre Arbeit qualifiziert verrichten wollen und sich durch die von der administrativen Verwaltung vorgegebenen Richtlinien verraten fühlen. Es belastet sie, da sie spüren, wie ihre Pflegequalität darunter leidet. Ausserdem kommt es immer wieder vor, dass durch Betriebswirtschaftler ersonnene Konzepte die bisherigen eingespielten Arbeitsabläufe behindert und informelle Kommunikationswege unterbrochen werden.

Die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich müssen grundsätzlich angegangen werden. Anders ausgedrückt: Es sind politische Entscheide auf eidgenössischer und kantonaler Ebene dringend nötig. Erschwert wird die Situation dadurch, dass seit der Auslagerung vieler öffentlicher Institutionen (konkret Kantonsspital) der Entscheidungsmacht von Parlament und Regierung die Hände gebunden sind. So kann beispielsweise die Gesundheitsdirektion nicht eine Lohnerhöhung für das medizinische Personal durchsetzen, sofern das autonom agierende Spitalmanagement damit nicht einverstanden ist.

Attraktivität für die Pflegeberufe erhöhen

Die besten Konzepte bleiben Makulatur, solange es an genügend Menschen fehlt, die all die guten Ideen mit Leben erfüllen können. Deswegen muss die Attraktivität der Pflegeberufe verbessert werden. In diesem Sinn lauten wichtige Forderungen:

  • Pflegende sollen wegen familiären Betreuungsaufgaben nicht an ihrer Berufsausübung gehindert werden. Deswegen sind Initiativen zur Schaffung von Kitas und Tagesschulen zu unterstützen.
  • Viele, vor allem ältere Menschen in den Pflegeberufen sind ausgelaugt und möchten ihr Pensum reduzieren. Das ist für diese nur machbar, wenn die Löhne angehoben werden, so dass auch mit einem Teilzeitpensum ein ausreichendes Einkommen erzielt werden kann.
  • Es ist nicht einsehbar, weshalb der Verdienst in der Langzeitpflege viel geringer ist als in der Akutpflege, obwohl die Anforderungen (in medizinischer und psycho-sozialer Hinsicht) in der Langzeitpflege komplexer sind. Diese erwähnte Lohndiskriminierung ist mit ein Grund, weshalb es so schwierig ist, qualifiziertes Pflegepersonal für die Alterspflegeheime etc. zu gewinnen.
  • Der Unzufriedenheit am Arbeitsplatz muss durch eine verbesserte Arbeitsatmosphäre begegnet werden. Dazu gehören flache Hierarchien und Mitbestimmung bei der Planung von Arbeitsabläufen, Einsatzplänen etc.

AVIVO Region Basel, 16. Juni 2022