Rede von Fina Girard

Liebe Delegierte der AVIVO, chèr.e.s délégué.e.s, geschätzter Regierungsrat Kaspar Sutter, liebe Anwesende

Ich habe einige Anläufe gebraucht, um diesen Text hier zu schreiben. Was erzählt man Anfang zwanzig einer Versammlung von Menschen, die zum Teil das drei bis vierfache an Lebenserfahrung mit sich bringen? Und gleichzeitig – gibt es da auch so viel zu erzählen.

Generationengerechtigkeit, das war das Stichwort, dass man mir gegeben hat. Für mich als Klimastreikende drückt sich da gleich der Klimawandel vor dem inneren Auge auf: Besonders dieser Sommer hat mir – ganz ehrlich – Angst gemacht. Die verheerenden Brände im Wallis, der zerstörerische Orkan in La-Chaux-de-Fonds, die Erdrutsche und Überschwemmungen der letzten Tage in der Ostschweiz und im Tessin – Zum ersten Mal merke ich: Wir sind mitten in der Klimakrise angekommen, sie ist keine Zukunftsmusik mehr.

Ich denke an den pensionierten Bergführer auf dem Aletschgletscher, der mir zeigte, wo in seiner Jugend die Gletscherzunge endete: Mehrere hundert Meter weiter talabwärts. Wie wir eigentlich seit den 1970er Jahren von der Existenz des Klimawandels wissen, aber noch immer kaum etwas unternehmen. Wie sich Um-die-Welt-jetten in den vergangenen Jahrzehnten zum Statussymbol schlechthin gemausert hat. Und – wie besonders ältere Personen massiv unter den immer häufigeren Hitzetagen und Tropennächten leiden. Das alles gehört zur Generationengerechtigkeit – ganz zu schweigen von den Folgen unseres unersättlichen Hungers nach fossiler Energie, die Ihre und erst recht vielleicht meine Kindeskinder zu spüren bekommen werden.

Sie hören es ­– der Klimastreik hat massiv zu meiner Politisierung beigetragen – ohne ihn stünde ich heute wohl nicht hier. Denn – neben all den wichtigen Debatten ums Klima hat der Klimastreik noch etwas anderes bewegt: Auf der Strasse, da waren ja plötzlich Schülerinnen, Schüler, viele kaum älter als 15 Jahre. Das hat mir gezeigt: Die Jungen heute, die können was und die sollen auch mitreden dürfen. Das Stimmrechtsalter 16 liegt auf dem Tisch, und ich bin nicht die Einzige junge Grüne Anfang 20, die in einem Parlament Platz nehmen darf. Diese Entwicklung macht mich stolz – sie geht in die richtige Richtung. Denn noch immer dominieren ältere, mächtigere Stimmen die Politik – bei Wahlen, bei Abstimmungen, nicht zuletzt in den Räten und Gremien. Wo doch unsere Welt eigentlich viel bunter ist? Und trotzdem wird mir jedes Mal, wenn ich im Basler Grossen Rat sitze, wieder bewusst: Dass ich als junge Frau am politischen Geschehen teilnehmen kann, ist eben doch keineswegs selbstverständlich – auch wenn es sich vielleicht so anfühlt. Das verdanke ich auch dem Engagement der Generationen vor mir. Dafür muss ich nicht weit in der Geschichte zurück gehen: Meine beiden Grossmütter mussten doppelt so alt werden wie ich heute, um überhaupt einmal abstimmen zu können. Auch das schwingt für mich mit, wenn ich an Generationengerechtigkeit denke.

Die WG, in der ich heute wohne, haben wir im Haus meiner Grosseltern eingerichtet, dort, wo auch mein Grossvater schon aufgewachsen ist und die beiden miteinander alt geworden sind. Meine Grossmutter wohnt jetzt im Altersheim ein paar Strassen weiter, ich bringe ihr die Post, wenn sie bei uns im Briefkasten gelandet ist, oder ihre Bücher und Malutensilien, die noch im alten Haus, bei uns, im Keller lagern. Oder ich begleite meinen Vater, wenn er zu meinem Grossvater fährt, um ihn zu pflegen.

Für mich sind das Kleinigkeiten, sie bereiten mir Freude und sind keine Last. Für vermutlich über 50 000 Young Carers in der Schweiz, sieht das anders aus: Das Pflegen von Angehörigen, Eltern, Grosseltern, nimmt so viel Raum ein, dass das Jungsein manchmal zu kurz kommt. Genauso, wie hunderttausende ältere Menschen in der Schweiz Stunden unbezahlte Arbeit leisten, ihre Enkelkinder hüten, die Nachbarin unterstützen, demente Angehörige pflegen – Ihnen muss ich das wohl nicht erklären. Care Arbeit, Freiwilligenarbeit, Stützen der Gesellschaft, die unsichtbar bleiben, und gleichzeitig so unentbehrlich sind: Sie werden von den Altersgruppen geleistet, die vermeintlich am meisten Zeit hätten: Den Jungen, und den Alten. Auch daran denke ich, wenn ich Generationengerechtigkeit höre.

Liebe Delegierte, liebe Anwesende: Jetzt bin ich viel herumgesprungen: Vom Aletschgletscher zum Klimastreik auf der Strasse, über politische Mitspracherechte bis zum Pflegen und Betreuen von Angehörigen und Freiwilligenarbeit. Was das alles miteinander zu tun hat? Vielleicht haben Sie und ich als Vertreterin meiner Generation, doch mehr gemeinsam als man im ersten Moment vermuten würde. Wir alle setzen uns ein – für eine bessere Welt, im kleinen wie im grossen, für ein soziales und gerechtes Miteinander, wo man aufeinander acht gibt, sich zuhört, sich solidarisch zeigt. Und ich glaube, Sie wie ich wissen, dass so ein Engagement viel Energie und Freude gibt, aber einen manchmal auch frustriert und wütend zurücklässt. Und in Zeiten, wo wir gerne den Graben suchen, oder andere gerne Gräben schaffen wollen, wünsche ich mir: Lasst uns keinen Graben zwischen Jung und Alt auftun. Denn Welt retten – Welt verbessern, das geht nicht alleine. Auch nicht als Organisation, nicht als Bewegung, nicht als eine Generation. Dafür müssen wir über alle Generationen hinaus zusammenstehen – denn auch unsere Herausforderungen liegen oft gar nicht so weit auseinander.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihr Engagement, für Ihre Arbeit, und freue mich sehr, dass ich heute zu Ihnen sprechen durfte. Vielen Dank!

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